“Die Branche kann sich nur ändern, wenn es Frauen gibt, die sich trauen, die Erste zu sein…”
Ein Interview mit Natalie Harsdorf-Borsch
Seit November 2023 Generaldirektorin der Bundeswettbewerbsbehörde, schenkt sie uns Einblicke in ihren bemerkenswerten Karriereweg und die Herausforderungen, die sie als erste Frau in vielen Funktionen überwinden musste. In ihrer Führungsrolle ist es wichtig, Positionen klar zu vertreten und sich nicht zu verbiegen. Harsdorf-Borsch betont: „Karrieren sind nicht planbar und immer von vielen Faktoren abhängig, aber den extra Meter zu gehen, ist sicher immer ein Baustein.“
Wie haben Sie sich Ihre Position in der juristischen Branche erarbeitet und welche spezifischen Herausforderungen mussten Sie als Frau überwinden?
Zunächst war eine sehr spezifische Ausbildung notwendig bzw. hilfreich. Ich habe im Kartellverfahrensrecht promoviert und habe auch mit Stipendium dann noch einen spezialisierten Master im Ausland dazu absolviert. Weiters habe ich über viele Jahre als Expertin Erfahrung gesammelt und bin erst dann sukzessive aufgestiegen, daher habe immer größere Teams geleitet. Neben meiner Kerntätigkeit habe ich immer viel publiziert und bei internationalen Projekten Erfahrungen gesammelt. Karrieren sind nicht planbar und immer auch von vielen Faktoren abhängig, aber den extra Meter zu gehen, ist sicher immer ein Baustein. Ich war in jeder einzelnen Führungsfunktion bisher immer die erste Frau in diesen Funktionen und ich sehe, dass dies auch eine motivierende Vorbildfunktion für andere Frauen in meinem Team hat.
Welche Maßnahmen oder Unterstützungen halten Sie für essenziell, um die Karriere-Entwicklung von Frauen in der Rechtsbranche zu fördern?
Im Laufe meiner Karriere habe ich gemerkt, dass die Menschen im eigenen Umfeld einen Unterschied machen können. Vorgesetzte können einen positiven Impact haben, indem sie einem die Chance geben, die Komfortzone zu verlassen und Neues auszuprobieren. Allerdings muss der Impuls schon von einem selbst ausgehen, auf Chancen nur zu warten ist zu wenig. Daher lege ich auch besonderen Wert darauf, meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu fördern und ihnen neue Chancen zu eröffnen, aber ich versuche sie auch zu motivieren selber Initiativen zu setzen.
Inwiefern hat sich Ihrer Meinung nach die Situation bezüglich Diversität und Inklusion in der österreichischen Rechtsbranche in den letzten Jahren verändert?
Ich denke, dass man die vergangenen Jahre manche positiven Entwicklungen wahrnehmen konnte, aber es gibt auch wieder Rückschritte, was die Diversität in der Rechtsbranche angeht. Ich merke selber, dass wir für Ausschreibungen zu Führungspositionen viel mehr weibliche Bewerberinnen haben, was mich sehr erfreut. Dennoch ist es noch ein weiter Weg, bis ein Zustand erreicht wird, an dem man dieses Thema gar nicht mehr ansprechen muss – weil es dann selbstverständlich sein wird.
Welche konkreten Schritte sollte Ihre Branche unternehmen, um ein inklusiveres Arbeits-umfeld zu schaffen?
Natürlich sollte immer die Leistung im Vordergrund stehen, ganz unabhängig vom Geschlecht und Diversitätshintergrund. Dennoch ist es so, dass Frauen manchmal Chancen nicht wahrnehmen und das aus verschiedenen Gründen. Hier denke ich, dass man qualifizierte Frauen bestärken muss, in den Vordergrund zu treten, um ihnen das Vertrauen zu geben zu zeigen, was sie können. Man sollte auch darauf achten, dass Arbeitsplätze so gestaltet werden, damit ein Familienleben mit dem Berufsleben vereinbar ist. Zentral ist aber auch Netzwerkmöglichkeiten frauenfreundlich und offen zu gestalten.
Welche Chancen und Risiken sehen Sie in der zunehmenden Digitalisierung der Rechtsdienstleistungen?
Eine besondere Chance sehe ich darin, Verfahren zu beschleunigen und diese effizienter zu gestalten. Als Beispiel aus unserem Behördenalltag hat sich gezeigt, dass die Umstellung zu einem voll-digitalisierten Arbeitsablauf dazu führte, dass mein Team und ich schnell auf die Covid-Lockdowns reagieren konnten und ohne größere Probleme die Arbeit wie gewohnt vorsetzen konnten. Auch der internationalen Zusammenarbeit kann einen größeren Fokus gewidmet werden, wenn man von überall aus seine Arbeit verrichten kann. Wir beschäftigen uns derzeit auch intensiv mit dem Thema KI-Produkte in der IT-Forensik. Hier schauen wir uns aktuell an, welche KI-Produkte zum Einsatz kommen können, jedoch sind die rechtlichen sowie die sicherheitstechnischen Anforderungen sehr hoch.
Bzgl. Risiken denke ich, dass die Digitalisierung und besonders auch die KI keine Ausrede dafür sein werden, selbst kritisch zu bleiben und die jeweiligen Sachverhalte selbst zu hinterfragen. KI wird meiner Meinung nach kein Ersatz sein für die Tätigkeit meiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, sondern ein Hilfetool. Wenn ich einen Wunschgedanken abgeben darf, dann wäre dies folgender: Eine Unternehmens-KI stellt bei der Bundeswettbewerbsbehörde einen Kronzeugenantrag aufgrund eines Verstoßes gegen das Kartellrecht.
Was sind Ihrer Meinung nach die Schlüsselelemente für ein erfolgreiches professionelles Netzwerk in der juristischen Branche?
Ich bin jemand, die sich über Fachinhalte vernetzt, das Persönliche steht da eher im Hintergrund. Über die Jahre hat sich daraus ein Netzwerk entwickelt, welches auf meine Expertise vertraut. Gerade in einer verantwortungsvollen Führungsposition, wie ich sie einnehme, ist es auch wichtig gewisse Linien zu entwickeln und dann auch zu halten, Positionen authentisch zu vertreten. Auch Authentizität ist ein wichtiger Faktor in der Positionierung, ich verbiege mich nicht.
Wie beurteilen Sie die Rolle der Juristinnen bei der Gestaltung von Gesetzen, welche die Gleichstellung der Geschlechter fördern?
Durch die Fachkenntnisse und das Verständnis für rechtliche Rahmenbedingungen können Juristinnen dazu beitragen, Gesetze zu verbessern, die die Gleichstellung der Geschlechter stärken und fördern. Ihre Perspektive als Expertinnen auf diesem Gebiet ermöglicht es, potenzielle Diskriminierungen zu identifizieren und Mechanismen zu entwickeln, die Chancengleichheit gewährleisten. Oft ist hier auch Kreativität gefragt und die erhält man in einem Team nur mit Diversität. Hier spielen auch andere Aspekte wie Alter, Menschen mit Behinderung, Migrationshintergrund usw. eine wichtige Rolle.
Können Sie einen Moment in Ihrer Karriere beschreiben, der besonders herausfordernd war und wie Sie damit umgegangen sind?
Das mag keine Überraschung sein, dass die vergangenen zwei Jahre, in denen ich die Behörde interimistisch geleitet habe, durchaus fordernd waren. Was mir in dieser Zeit sehr wichtig war, den Fokus ausschließlich auf die erfolgreiche Behördenleitung gerade in Zeiten der Inflation etc. zu richten und mich nicht von äußeren Einflüssen verunsichern zu lassen. Es freut mich, dass wir den Output enorm steigern konnten und so einen Beitrag für eine funktionierende Wirtschaft und die Verbraucher leisten konnten. Auch die Unterstützung meines Teams zu wissen, hat mich besonders motiviert.
Welche Ratschläge würden Sie jungen Juristinnen geben, die gerade ihre Karriere in einer überwiegend männlich dominierten Branche beginnen?
Mein Ratschlag wäre, sich Dinge zu trauen und mit Resilienz an den eigenen Zielen dranzubleiben, selbst wenn es bedeutet, die einzige Frau in einem Raum zu sein. Die Branche kann sich nur ändern, wenn es Frauen gibt, die sich trauen, die Erste zu sein – nur so kann der Wandel tatsächlich stattfinden. Das Umfeld muss aber auch mitspielen und da bedarf es noch Bewusstseinsbildung.
Interviewpartnerin:
Dr. Natalie Harsdorf-Borsch LL.M., ernannt im November 2023 zur Generaldirektorin der Bundeswettbewerbsbehörde, hatte bereits umfangreiche Erfahrungen in dieser Behörde sowie in internationalen Positionen gesammelt. Sie ist als Expertin und Lehrbeauftragte im Bereich Kartellrecht tätig, hat maßgebliche Publikationen verfasst und führt Initiativen zur Förderung von Frauen im Wettbewerbsrecht. Für ihre Leistungen wurde sie 2022 als „Juristin des Jahres“ ausgezeichnet und ist aktiv in führenden Rollen innerhalb der OECD und ECN.
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