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10 Jahre Women in Law Jubiläum: Döne Yalçın im Interview
„Ein ehrlicher Austausch ist unerlässlich, um echte Veränderungen zu bewirken.“   Ein Interview mit Döne Yalçın  Döne Yalçın hat sich als Managing Partnerin von CMS Türkei und Equity Partnerin bei CMS Österreich…

„Ein ehrlicher Austausch ist unerlässlich, um echte Veränderungen zu bewirken.“ 

 Ein Interview mit Döne Yalçın 
 
Döne Yalçın hat sich als Managing Partnerin von CMS Türkei und Equity Partnerin bei CMS Österreich etabliert. Ihr Weg dorthin war alles andere als geradlinig. „Ein Nein war für mich nie das Ende – eher der Anfang, die Dinge anders zu denken,“ erklärt sie und betont, wie wichtig es ist, eine eigene berufliche Identität zu entwickeln. Yalçın teilt in diesem Interview ihre Einsichten über die geschlechtsspezifischen Herausforderungen der Branche und gibt klare Antworten: Flexibilisierung der Arbeitszeit, „Male Allies“ und eine offene Diskussion über strukturelle Ungerechtigkeiten sind für sie essenziell. 

Zudem spricht sie über die Automatisierung einfacher juristischer Arbeiten bis hin zu KI-Tools, die den Anwaltsberuf grundlegend verändern. Risiken sieht sie vor allem in der Ausbildung: „Wenn KI die redundante Arbeit übernimmt, wird der Nachwuchs andere Fähigkeiten brauchen.“ Ihr praktischer Rat? „Konzentriere dich nicht auf jede Schlacht, sondern auf den Krieg, den du gewinnen willst.“

Wie haben Sie sich Ihre Position in der juristischen Branche erarbeitet und welche spezifischen Herausforderungen mussten Sie als Frau überwinden? 

Ich habe schnell gemerkt, dass ich mich in einem männerdominierten Umfeld nicht dadurch abheben kann, dass ich männliche Verhaltensweisen imitiere. Vielmehr habe ich versucht, meine eigene berufliche Identität zu entwickeln, ohne zu verkennen, dass ich als Frau oft einen anderen Blick auf die Dinge habe. Außerdem habe ich nie ein „Nein“ akzeptiert. Ein „Nein“ oder „So geht’s nicht“ zu irgendeinem Thema war für mich vielmehr Ansporn, Dinge anders zu denken und andere Wege zu gehen. Ich habe auch versucht, nicht nur aus meinen Fehlern, sondern auch aus den Fehlern anderer zu lernen.

Außerdem neigen Frauen immer noch dazu, nicht über ihre Erfolge zu sprechen. Einer meiner (männlichen) Mentoren hat mir einmal gesagt: „Tue Gutes und rede darüber“. Das habe ich mir zu eigen gemacht. Ich habe versucht, mir meine Erfolge nicht von anderen, vor allem Männern, wegnehmen zu lassen. Gleichzeitig habe ich nie aus den Augen verloren, dass man nur im Team stark ist. Ich habe gelernt, meine Position zu behaupten, aber gleichzeitig Teamgeist zu leben und immer auch die Erfolge der anderen zu würdigen.

Welche Maßnahmen oder Unterstützungen halten Sie für essenziell, um die Karriereentwicklung von Frauen in der Rechtsbranche zu fördern 

Ich denke, man sollte zunächst einmal die Frage stellen, welche Herausforderungen Frauen überhaupt daran hindern, bestimmte Rechtsberufe zu ergreifen. Einer der Hauptgründe, warum sie beispielsweise auf dem Karriereweg nach oben im Anwaltsberuf verloren gehen, ist der große Zeitaufwand, der sich schwer mit ihrer klassischen Rolle in der Familie vereinen lässt. 

Erst wenn ein Bewusstsein für diese geschlechtsspezifischen Hürden geschaffen ist, können im nächsten Schritt auch entsprechende Maßnahmen und Unterstützungen erfolgreich umgesetzt werden. Und wir Frauen müssen diese Bewusstseinsschaffung fördern, indem wir in einen respektvollen, aber klaren Dialog treten.  

Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang auch „Male Allies“. Also Männer, die sich ihrer Privilegien bewusst sind, und aktiv dazu beitragen, dass Strukturen und Rollenbilder hinterfragt und Geschlechterungerechtigkeit vermieden werden.

Wie bewältigen Sie die Balance zwischen beruflichen Anforderungen und privatem Leben, und welche Tipps würden Sie anderen Frauen in ähnlichen Situationen geben? 

Die Balance zwischen Beruf und Privatleben ist ein Drahtseilakt, vor allem, wenn man gleichzeitig Karriere machen will. Für mich war das nur möglich, indem ich eine klare Trennlinie gezogen habe und die Zeit, die ich meinem Privatleben gewidmet habe, auch wirklich privat verbracht habe. Ich habe die Arbeit nur dann mit nach Hause genommen, wenn es absolut notwendig war. Ich habe Qualität vor Quantität gestellt und ein gewisses Organisationstalent entwickelt. Leider muss ich sagen, dass es uns Frauen in unserem Tatendrang und Verantwortungsbewusstsein immer wieder passiert, dass wir uns zu viel aufladen. Ich habe gelernt, mich zu konzentrieren und vor allem nicht jede Schlacht zu schlagen. Außerdem bin ich mit einem unglaublich verständnisvollen Mann gesegnet. Ich weiß nicht, ob diese Dinge anderen Frauen helfen, aber sie haben mir geholfen.

Inwiefern hat sich Ihrer Meinung nach die Situation bezüglich Diversität und Inklusion in der österreichischen Rechtsbranche in den letzten Jahren verändert? 

Der Frauenanteil in der Rechtsanwaltschaft lag Ende 2023 bei knapp 25 %1. Je weiter man auf der Karriereleiter jedoch nach oben blickt, desto männlicher wird das Bild. So ist der Anteil an Partnerinnen in vielen Kanzleien noch immer verschwindend gering. Hier gibt es also definitiv noch Nachholbedarf. Und das, obwohl bereits zahlreiche Studien zeigen, dass Gleichstellung und Diversität den langfristigen Unternehmenserfolg positiv beeinflussen und auch immer mehr Mandanten explizit Beratungsteams fordern, die aus Frauen und Männern bestehen und im Idealfall auch noch multinational aufgestellt sind. Interessant ist aber, dass das zum Beispiel in den CEE-Ländern ganz anders aussieht. In unseren CEE-Büros haben wir viel mehr weibliche Partner als in Österreich oder Deutschland. Dies gilt auch für die Management Ebene. Ich selbst bin Managing Partnerin in Istanbul.

Welche konkreten Schritte sollte Ihre Branche unternehmen, um ein inklusiveres Arbeitsumfeld zu schaffen? 

Wichtig ist, dass Veränderungen immer an den tatsächlichen Herausforderungen der betroffenen Personengruppen orientiert sind und einen echten Systemwandel bewirken. Es ist wichtig, alle betroffenen Gruppen in diese Diskussion einzubeziehen. Es darf nicht der Fehler gemacht werden, dass ein Problem, das Frauen betrifft, von Männern gelöst wird etc. Ein ehrlicher Austausch ist unerlässlich. 

Eine Flexibilisierung der Arbeitszeit kann dazu beitragen, dass Frauen die Balance zwischen beruflichen Anforderungen und privatem Leben besser bewältigen können. Bei CMS haben beispielsweise alle Mitarbeitenden – unabhängig vom Geschlecht – die Möglichkeit, die individuelle Arbeitszeit und den Arbeitsort flexibel zu gestalten. Während der Pandemie haben wir gesehen, dass Homeoffice auch in unserem Setting sehr gut funktioniert, und haben unsere Policy diesbezüglich angepasst. Außerdem haben wir eine Karenzregelung, die auch für Männer gilt. 

Aber auch die Frauen-Quote stellt ein erprobtes Mittel dar, um Gleichstellung langfristig zu fördern. Kanzleien sollten also schon bei der Einstellung auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen achten.

Können Sie ein Beispiel nennen, bei dem eine diverse Arbeitsumgebung zu einer besseren Lösung oder zu innovativeren Ansätzen bei einem rechtlichen Problem geführt hat? 

Ich könnte viele Beispiele anführen. Letzte Woche hatte ich eine sehr schwierige Sitzung mit einem Kunden und seinem Hauptlieferanten. Ich wurde als Mediator zu einem Zeitpunkt hinzugezogen, als die Fronten bereits sehr verhärtet waren und die Gespräche zu keinem Ergebnis führten bzw. immer emotionaler wurden. Der Kunde hätte auch einen männlichen Rechtsberater hinzuziehen können, aber glücklicherweise hatte er eine weibliche Rechtsberaterin, die ihm empfahl, eine Frau hinzuzuziehen. Das hatte zur Folge, dass in meiner Anwesenheit nicht nur der Ton, sondern auch das Verhalten der Parteien anders war. Die Anwesenheit von Frauen verändert in der Regel die Dynamik im Raum. Das war natürlich nicht der einzige Grund, aber ein nicht zu unterschätzender, um eine für beide Seiten sinnvolle Einigung zu erzielen und größeren Schaden von allen Beteiligten abzuwenden.

Welche technologischen Veränderungen haben Ihrer Meinung nach den größten Einfluss auf die Rechtspraxis gehabt

Im weitesten Sinne würde ich sagen, die Ablösung der Schreibmaschine durch den Computer und die Einführung des Smartphones. Aus der jüngeren Vergangenheit, um mit dem Naheliegenden zu beginnen, würde ich zunächst die digitalen Rechtsdatenbanken und Recherchesysteme nennen, die das Arbeiten schneller und effizienter gemacht haben. Dann natürlich die Spracherkennungssysteme, die das herkömmliche Diktat abgelöst haben. Videokonferenzen sind ein weiteres Beispiel. Ganz wichtig sind aber die KI-gestützten Tools, die einfache juristische Dienstleistungen automatisiert haben. Tatsächlich geht die Entwicklung dahin, dass wir bald keine JuristInnen mehr für Commodity Work einsetzen werden und sich das Profil des Anwaltes/der Anwältin in Richtung eines Experten/einer Expertin für komplexere Rechtsfragen und Rechtsgebiete entwickelt.

Wie nutzen Sie Technologie in Ihrer täglichen Arbeit, und welche Tools würden Sie besonders empfehlen? 

Da ich unter andrem auch den Bereich Legal Tech und Knowledgemanagement mitverantworte, versuche Technologien überall dort einzusetzen, wo Sie eine Effizienzsteigerung bedeuten. Das beginnt bei der Nutzung von automatisierten Dokumenten bis hin zur digitalen Dokumentenverwaltung. Ich empfehle vor allem redundante Arbeitsschritte zu digitalisieren, da dies nicht nur zu einer Kosteneffizienz führt, sondern auch verhindert, dass sich einfache Fehler einschleichen und trägt auch zu einem besseren Knowledgemanagement bei. Dies gilt vor allem auch für Vertragsmanagementtools.

Auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Analyse und Bearbeitung von Dokumenten wird immer wichtiger. So sind wir eine globale Partnerschaft mit Harvey eingegangen, einer der weltweit führenden Generative-AI-Plattformen (GenAI). Durch diese Partnerschaft ist CMS, das in 47 Ländern tätig ist, führend bei der Nutzung von GenAI zur Verbesserung der Rechtsberatung für Kunden. Harvey steigert die Produktivität und optimiert die Arbeitsabläufe in verschiedenen Bereichen der Rechtsberatung, wie Vertragsanalyse, Due Diligence, Rechtsstreitigkeiten und Einhaltung von Vorschriften. Harvey unterstützt die Gewinnung von Erkenntnissen und die Erstellung von ersten Entwürfen, Vorschlägen und Prognosen aus großen Datenmengen, die zur Erstellung der endgültigen Ergebnisse verwendet werden. Dies hilft Anwälten, ihren Mandanten schnellere, bessere und effizientere Lösungen anzubieten.

Welche Chancen und Risiken sehen Sie in der zunehmenden Digitalisierung der Rechtsdienstleistungen? 

Der größte Vorteil ist die enorme Effizienzsteigerung, die dadurch in den nächsten Jahren zu erwarten ist. Die Corona-Pandemie hat für einen Schub in Sachen Digitalisierung gesorgt. Neue Technologien unterstützen etwa bei der digitalen Aktenverwaltung, der juristischen Recherche und dem Vertragsmanagement.  

Dokumente können so schneller gefunden werden und auch ein flexibleres und ortsunabhängigeres Arbeiten wird ermöglicht, was vor allem Frauen zugutekommt. 

Ein Risiko beim Einsatz bestimmter Technologien bleibt jedoch der Schutz personenbezogener Daten. Insbesondere Lösungen, die auf künstlicher Intelligenz basieren, befinden sich häufig noch in der Entwicklungsphase und berücksichtigen die datenschutzrechtlichen Vorgaben nicht ausreichend. Ein weiteres Risiko sehe ich in der Ausbildung junger Kolleginnen und Kollegen, die traditionell ihre Ausbildung mit redundanter Arbeit beginnen. Wenn diese Arbeit aber durch KI und Legal Tech übernommen wird, leidet die Ausbildung und zudem sinkt der Bedarf an jungen Kolleginnen und Kollegen – das sieht man ja bereits bei der Digitalisierung der Due Diligence Arbeitsschritte. Früher saßen bis zu 20 junge AnwältInnen in nicht-digitalen Datenräumen, um Dokumente zu sichten und oft auch zu transkribieren; ein solcher Einsatz wäre heute utopisch. Sprich auch die Anforderungen an die Ausbildung werden sich drastisch ändern und müssen technologieaffiner sein.

Wie wichtig war das Mentoring in Ihrer Karriere und können Sie ein prägendes Erlebnis mit einem Mentor oder einer Mentorin teilen? 

Gerade zu Beginn der juristischen Karriere sollte die Bedeutung von (weiblichen) MentorInnen, nicht unterschätzt werden. Ich persönlich habe vor allem vom Austausch mit Personen profitiert, die bereits über das Wissen und die Erfahrung verfügen, die man selbst für den nächsten Entwicklungsschritt benötigt, oder die einmal in einer ähnlichen Situation waren wie ich. 

Das war auch ein Grund, warum ich mich bei CMS Reich-Rohrwig Hainz gemeinsam mit anderen Partnerinnen aktiv für die Etablierung eines Förderprogramms speziell für Frauen eingesetzt habe. Mit der Ladies’ League haben wir eine zukunftsweisende Initiative im Unternehmen etabliert, die unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei unterstützt, beruflich und persönlich erfolgreich zu sein. Ziel ist es, unsere Kolleginnen durch Veranstaltungen und regelmäßige Treffen fachlich und persönlich zu stärken. Darüber hinaus arbeiten wir derzeit an einem Mentoring-Programm für alle juristischen und nicht-juristischen Mitarbeiterinnen, um Erfahrungen auszutauschen und jüngere Mitarbeiterinnen und Kolleginnen zu unterstützen.

Was sind Ihrer Meinung nach die Schlüsselelemente für ein erfolgreiches professionelles Netzwerk in der juristischen Branche? 

Unerlässlich sind Aufgeschlossenheit, Offenheit, Ehrlichkeit und die Bereitschaft zur ständigen Weiterentwicklung. Außerdem macht es Sinn, sich bereits in jungen Jahren um den Aufbau eines eigenen Netzwerks zu kümmern. Beispielsweise durch den Besuch von Veranstaltungen oder Netzwerk-Treffen für Studierende oder einer aktiven Mitarbeit in studentischen Vereinen.

Wie sind Sie an den Aufbau Ihres eigenen Netzwerks herangegangen und welche Strategien haben sich als besonders effektiv erwiesen? 

Ich stelle Qualität vor Quantität. Ich sehe oft junge Kolleginnen und Kollegen, die ihren Networking-Erfolg daran festmachen, wie viele Visitenkarten sie auf einer Veranstaltung verteilen oder besser noch ergattern konnten – aber darum geht es nicht. Es geht darum zu wissen, welcher Kontakt für das eigene Netzwerk wirklich nützlich ist und sich auf diesen Kontakt zu konzentrieren und vor allem nicht davor zurückzuschrecken, mehr Zeit in die Entwicklung dieser Kontakte zu investieren. Ich versuche immer eine persönliche Note einzubringen und wirklich Interesse an meinem Gegenüber zu zeigen. Das macht das eigene Profil viel authentischer und das Gespräch bzw. die Beziehung zum jeweiligen Kontakt wertvoller. Ich versuche immer auf meine Kontakte einzugehen und mich für den Menschen hinter dem Kontakt zu interessieren. Aber ich weiß nicht, ob man das lernen kann.

Welche aktuellen Gesetzesänderungen oder politischen Diskussionen haben Ihrer Meinung nach die größte Auswirkung auf Frauen in der juristischen Branche? 

Es gibt eine Reihe von Gesetzen, die direkte oder indirekte Auswirkungen haben. Dazu gehören natürlich Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetze oder Gesetze zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen. Darüber hinaus halte ich die gesamte Regulierungsbewegung im Bereich der Nachhaltigkeit von Unternehmen für förderlich. Die EU hat endlich eine Richtlinie zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt in Wertschöpfungsketten verabschiedet. Mit der „Directive on Corporate Sustainability Due Diligence“ (CSDDD) sollen in der EU tätige Unternehmen künftig verpflichtet werden, Menschenrechte und Umwelt in globalen Wertschöpfungsketten zu achten.

Wie beurteilen Sie die Rolle der Juristinnen bei der Gestaltung von Gesetzen, die die Gleichstellung der Geschlechter fördern? 

Gesetze werden häufig von Männern für Männern gemacht. Daher war es beispielsweise in den 1970er-Jahren noch selbstverständlich, dass den Männern eine Vorrangstellung im österreichischen Recht zukam. Die Miteinbeziehung weiblicher Perspektiven stellt sicher, dass sich Prioritäten ändern und eine ausgeprägtere Darstellung vieler Lebensrealitäten sichergestellt wird. Nur so können die oftmals patriarchal geprägten Strukturen in Rechtssetzung, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft aufgebrochen und Raum zur Erarbeitung emanzipatorischer Alternativen geschaffen werden.

Gibt es ein spezifisches Gesetz oder eine politische Initiative, die Sie persönlich beeinflusst hat, und können Sie beschreiben, wie? 

Ja, ich erinnere mich an eine Diskussion aus meiner Kindheit, als ich noch zur Schule ging. Da gab es die Diskussion, alle Kinder mit Migrationshintergrund in eine Klasse zu packen und anders zu unterrichten. Das hätte mich damals auch betroffen und ich war einer der besten Schüler in meiner Klasse. Ich kann mich noch erinnern, dass ein sehr engagierter Lehrer versucht hat, uns zu erklären, wie falsch so eine Maßnahme wäre, aber er hat sich damals auch mit einer Petition dagegen gewehrt, indem er auch die Geschichte von Schülerinnen wie mir ins Spiel gebracht hat. In diesem Moment habe ich gelernt, wie wichtig persönliches Engagement ist und was es bewirken kann und wie kurzsichtig und populistisch politische Aktionen sein können.

Was war der beste Ratschlag, den Sie jemals erhalten haben, und von wem stammte er? 

Einen Rat habe ich bereits erwähnt: „Tue Gutes und rede darüber“. Ein weiterer wichtiger Ratschlag, den ich von einer Mentorin erhielt, die heute meine beste Freundin ist, lautete: „Konzentriere dich nicht auf die Schlacht, die du nicht gewinnen kannst, sondern versuche, den Krieg zu gewinnen“. In diesem Rat liegt viel Wahrheit und Kraft und ich versuche, ihn mir immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Und wenn ich ihn vergesse, habe ich zum Glück meine Freundin und Partnerin, die mich daran erinnert.

Können Sie einen Moment in Ihrer Karriere beschreiben, der besonders herausfordernd war und wie Sie damit umgegangen sind? 

Es gibt viele Momente, aber der jüngste ist sicherlich das verheerende Erdbeben in der Türkei am 06.02.2023 in der Region Kahramanmaras mit einer Stärke von 7,8 auf der Richterskala. Mehr als 50.000 Menschen starben und mehr als 2 Millionen wurden obdachlos. Die Herausforderung lag darin, dass fast jeder einzelne unserer MitarbeiterInnen betroffen war. Entweder haben sie ein Familienmitglied oder einen engen Freund oder eine enge Freundin verloren. Eine Mitarbeiterin verlor sogar mehr als 20 Familienmitglieder. Die Verzweiflung war unvorstellbar und die Moral meines Teams, wie Sie sich vorstellen können, am Boden.

Ich wusste, dass wir ein klares Zeichen der Solidarität setzen mussten, um auch die Moral unserer MitarbeiterInnen aufrechtzuerhalten und vor allem unserer Pflicht als Menschen nachzukommen. Deshalb habe ich mich entschlossen in die Region zu reisen, obwohl mir aufgrund der anhaltenden Nachbeben abgeraten wurde.  Ich wollte sicherstellen, dass zum Einen die Hilfe (wir haben als Kanzlei innerhalb kürzester Zeit die Mittel für ein Containerdorf aufgebracht), die die Menschen vor Ort brauchen, auch tatsächlich ankommt, aber auch um den Menschen vor Ort unsere Solidarität zu zeigen. Normalerweise bringt mich nichts so schnell aus der Ruhe und man könnte sogar sagen, dass ich ein ziemlich dickes Fell habe, aber nach dieser Reise habe ich ein paar Tage gebraucht, um mich zu sammeln. Das hat mir geholfen, mich auf die Bedürfnisse meines Teams und der bedürftigen Menschen in der Region zu konzentrieren. Wir unterstützen die Region weiterhin.

Welche Ratschläge würden Sie jungen Juristinnen geben, die gerade ihre Karriere in einer überwiegend männlich dominierten Branche beginnen 

Sich unter Berücksichtigung der eigenen Interessen und Stärken auszuprobieren. Es gibt sehr unterschiedliche Arten, den Rechtsberuf auszuüben und gerade die ersten Jahre können dafür genutzt werden, ein für sich passendes Setting zu finden. Ausserdem nicht den Mut zu verlieren, wenn es nicht auf Anhieb passt. Ein gutes Netzwerk ist in diesem Zusammenhang auf jeden Fall förderlich, um von den Erfahrungen anderer zu profitieren und zu lernen.

Interviewpartnerin: 

Dr. Döne Yalçın studierte Rechtswissenschaften in Wien und arbeitete aufgrund ihrer Herkunft und Zweisprachigkeit für führende Kanzleien in Wien und Istanbul. 2006 trat sie CMS Wien bei, gründete das Turkish Desk und leitete es bis 2013. Seitdem ist sie Managing Partner von CMS Türkiye und seit 2017 zusätzlich Equity Partnerin bei CMS Österreich. Mit über 20 Jahren Erfahrung in ESG-Compliance und Gesellschaftsrecht/M&A ist sie eine treibende Kraft hinter der Nachhaltigkeitsagenda von CMS und Mitinitiatorin der CMS Ladies League zur Förderung von Frauen innerhalb der Kanzlei. 

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