“Es gibt gar nicht genug Männer, um den Stellenbedarf zu füllen.”
Ein Interview mit Irene Klippl
Irene Klippl Head of Banking Legal bei der Erste Group Bank AG berichtet, dass in ihrer eigenen Laufbahn die Leistung zählte und das Geschlecht keine spürbare Rolle spielte. Doch nicht alle Frauen haben dieselben Voraussetzungen. Sie betont die Notwendigkeit, „alte Muster aufzubrechen und Kinderbetreuung als partnerschaftliche Aufgabe von beiden Elternteilen zu leben“, um Karrieren zu fördern. Auch die zunehmende Digitalisierung bringt Herausforderungen mit sich. Sie sieht zwar Potenzial in der Automatisierung repetitiver Aufgaben, warnt jedoch davor, dass der Lernprozess für junge Jurist:innen leiden könnte, wenn wichtige Arbeitserfahrungen übersprungen werden. Ihr klares Fazit: „Menschliche Aufsicht und Kontrolle bleiben entscheidend.“
Wie haben Sie sich Ihre Position in der juristischen Branche erarbeitet und welche spezifischen Herausforderungen mussten Sie als Frau überwinden?
Ich hatte großes Glück: mir wurden keine Hürden in den Weg gelegt, Geschlecht spielte nach meiner Wahrnehmung keine Rolle, die Leistung zählte.
Welche Maßnahmen oder Unterstützungen halten Sie für essenziell, um die Karriereentwicklung von Frauen in der Rechtsbranche zu fördern?
Auch wenn das nicht spezifisch für die Rechtsbranche gilt: alte Muster aufzubrechen und Kinderbetreuung als partnerschaftliche Aufgabe von beiden Elternteilen zu leben. Dafür ist eine Verbesserung der Kinderbetreuung notwendig, sodass ein schneller Wiedereinstieg gewährleistet ist und die Schulzeit keinen Spießrutenlauf mehr erfordert. Die realen Bedingungen schwanken, wie wir alle wissen, derzeit in Österreich von Bundesland zu Bundesland, sind aber selbst in den am besten ausgebauten Gebieten noch nicht optimal – da z.B. Überstunden, die nun einmal die Realität sind, kaum abgedeckt werden können. Ebenso sind urlaubsbedingte Schließzeiten und die langen und zahlreichen Schulferien und -schließtage für Eltern mehr als herausfordernd.
Können Sie ein Beispiel nennen, bei dem eine diverse Arbeitsumgebung zu einer besseren Lösung oder zu innovativeren Ansätzen bei einem rechtlichen Problem geführt hat?
Ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis führt meiner Erfahrung nach zu den besten Lösungen, da gibt es ausgewogene, überlegte und faire Diskussionen. Das gilt aus meiner Sicht für alle Teams, ob in Projekten oder innerhalb der langfristigen Zusammenarbeit.
In Bezug auf sonstige Inklusion ist nach meiner Erfahrung das Optimum erreicht, wenn gar nicht mehr darüber gesprochen werden muss, sondern einfach jeder so genommen wird, wie er oder sie ist, ohne dass daraus ein Thema gemacht wird. Das gelingt uns aber nur, wenn wir es schaffen, dass man sich der eigenen Privilegien bewusster wird und die Lebensrealitäten der anderen besser kennenlernt. Hier sind ein gesundes Interesse am Gegenüber, sowie Empathie und Zuhören ganz wesentlich.
Welche Chancen und Risiken sehen Sie in der zunehmenden Digitalisierung der Rechtsdienstleistungen?
Die Digitalisierung ist sicher dort am meisten willkommen, wo sie repetitive, mechanische Arbeit, in die wenig juristisches Fachwissen einfließt, übernimmt – das kann vom simplen automatischen Ausfüllen von Formularen, Erstellen von Standardverträgen, die nur mit vorgegebenen Details befüllt werden müssen, bis zu einfachen Chatbot-Lösungen reichen.
Weitergehend kann es sehr hilfreich sein, wenn Digitalisierung z.B. intelligente Lese- bzw Suchfunktionen zeitintensive Recherche abnehmen kann – man denke an Due Diligence Übungen. Allerdings passiert dies um den Preis, dass Arbeiten dieser Art, so mühsam sie sein können, bis jetzt auch zum Lernprozess von Jurist:innen dazugehört haben. Man will es nicht ein Leben lang machen, aber ich befürchte, dass ein Teil der Lernkurve sehr flach ausfallen könnte, wenn man diese Art der Arbeit in Zukunft einfach überspringen kann. Weitere Risken sind natürlich die Gefahr von schlicht falschen Ergebnissen und ganz kritisch wird es, wenn juristische Entscheidungen aufgrund von „biased machine-learning“ gefällt werden, also antrainierte Tendenzen bzw. Haltungen in die Entscheidungsfindung fließen. Umso wichtiger ist daher die menschliche Aufsicht und Kontrolle über diese Lernprozesse.
Wie wichtig war das Mentoring in Ihrer Karriere und können Sie ein prägendes Erlebnis mit einem Mentor oder einer Mentorin teilen?
Ich hatte das große Glück, in meiner Karriere zunächst einen hervorragenden ersten Chef und anschließend einen großartigen langjährigen Chef zu haben, die beide auch als Mentoren für mich fungierten. Besonders beeindruckte mich, dass für beide das Geschlecht bei der Förderung von Mitarbeiter:innen keinerlei Rolle spielte – jede:r wurde als gleichwertig betrachtet. Zudem nahmen sie sich die Zeit, mich in ihre Denkprozesse einzubeziehen, sodass wir gemeinsam Lösungen erarbeiteten. Dadurch lernte ich nicht nur, was in einem konkreten Fall die beste Lösung ist, sondern vor allem, wie man grundsätzlich zu guten Lösungen gelangt.
Von meinem zweiten Mentor habe ich darüber hinaus besonders wertvolle Prinzipien übernommen: immer fair zu sein, sowohl gegenüber Mitarbeiter:innen als auch Vertragspartner:innen, und das Gute in den Menschen zu sehen.
Welche aktuellen Gesetzesänderungen oder politischen Diskussionen haben Ihrer Meinung nach die größte Auswirkung auf Frauen in der juristischen Branche?
Das hängt stark mit der vorigen Frage zur „Karriereentwicklung“ zusammen: Der Ausbau der Kinderbetreuung. Und am anderen Ende der Karriere: die Verbesserung der Betreuung von pflegebedürftigen Personen (und damit die Verbesserung der Voraussetzungen für Pflegeberufe) – es ist m.E. kein optimaler Einsatz von Ressourcen, wenn Personen, in der Mehrzahl Frauen, ihren Beruf teilweise aufgeben oder (wieder) in eine Doppelbelastung gehen, weil keine geeignete Pflege zur Verfügung steht.
Welche Ratschläge würden Sie jungen Juristinnen geben, die gerade ihre Karriere in einer überwiegend männlich dominierten Branche beginnen?
Lassen Sie sich nicht entmutigen und gehen Sie ihren Weg, gerade jetzt sind auch Demographie und die Gegebenheiten auf Ihrer Seite: es gibt gar nicht genug Männer, um den Stellenbedarf zu füllen. Und es wird mehr und mehr zur Selbstverständlichkeit, dass Frauen in bislang männerdominierten Gebieten tätig sind (z.B. im Transaktionsgeschäft). Es wird auch zunehmend selbstverständlicher, dass auf Zeitdisziplin geachtet wird. Mittlerweile ist es nicht mehr ungewöhnlich, auch von (männlichen) Anwälten zu hören, dass sie zu einer bestimmten Zeit ein Kind aus dem Kindergarten abholen müssen.
Interviewpartnerin:
Irene Klippl absolvierte ihre akademische Laufbahn an der Universität Wien, wo sie Rechtswissenschaften studierte und mit dem Dr. jur. abschloss. Zudem erwarb sie einen Master of Laws (LLM) an der University of Chicago Law School.
Im Laufe ihrer beruflichen Karriere stieg Klippl zur Head of Banking Legal bei der Erste Group Bank AG auf. Während ihrer Tätigkeit initiierte sie die Women Go Panel Initiative, ein Projekt zur Förderung von Frauen in der Rechtsbranche.
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